Prometheus [Der Alien-Mythos]

VON MILAN PAVLOVI´C

Es begann als Variation klassischer Spukgeschichten. Gewöhnliche Menschen wurden auf ungewohntem Terrain mit etwas Unerklärlichem konfrontiert, das unerhörterweise unerklärt blieb. Diesen Luxus konnte man sich Ende der 70er Jahre noch leisten, als im Sommer 1979 der „Alien“-Mythos geboren. Fortsetzungen waren damals noch kein Zwang, Englisch galt noch als Fremdsprache, weswegen der Verleih hierzulande glaubte, dem Originaltitel noch eine Erklärung („Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“) hinzufügen zu müssen.

Ridley Scott fand in „Alien“ Bilder für unsere Albträume und fügte dem Kreaturen-Horror unvergessliche Momente hinzu. In Erinnerung blieben aber nicht bloß Blut und Schleim, explodierende Bäuche und bleckende Monsterzähne. Sondern Finsternis, Stille und Zurückhaltung. Im Vergleich zum kindgerechten Charme der „Star Wars“-Welt (1977), die zwei Jahre vorher entstand, war „Alien“ immer der erwachsene Bruder: größer, gefürchteter, geheimnisvoller, brütender, ungeheuer bewundert.

Das kleine und hässliche Monster kam zwar bei gleißendem Neonlicht zur Welt, in einer der schockierendsten Geburtsszenen der Filmgeschichte. Aber danach war es kaum noch zu sehen und blieb weitgehend im Dunkeln. Das machte die Sache letztlich noch viel spannender, weil es nun in unserem Kopf herum spukte, unsere Imagination in Gang setzte. „Alien“ befeuerte dies, indem die Kreatur mutierte: Aus dem phallischen Ding, das ohne Augen, aber mit Zähnen in die Welt platzte, wurde ein die Menschen überragendes, zutiefst feindseliges Wesen – „geschaffen, um zu töten“, „mit Säure statt Blut“ –, das durch H.R. Gigers geniales Design abstoßend und faszinierend zugleich war. Als das Ding am Ende des Originals ins Weltall gejagt wurde, war man als Zuschauer einerseits enorm erleichtert. Andererseits geradezu traurig, weil man gerne mehr darüber erfahren hätte.

Es war also nicht überraschend, dass Twentieth Century Fox als Rechteinhaber irgendwann auf die Idee kam, unsere Neugier auszunutzen und danach immer wieder versuchte, die Geschichte weiterzuspinnen. Die Studio-Verantwortlichen gingen dabei das Risiko ein, stets wenig erprobte, aber eigensinnige und visuell innovative Regisseure mit den Fortsetzungen zu betrauen. Kommerziell zunächst mit großem Erfolg (James Cameron mit „Aliens“), später oft mit weniger Glück (David Fincher bei „Alien³“, „Amélie“-Regisseur Jean-Pierre Jeunet bei „Alien Resurrection“).

Weil niemand wusste, wohin die Serie führen würde, schwankten die Fortsetzungen gewaltig. Es gibt wohl keine Saga, deren Teile sich in Stil und Tempo so drastisch voneinander unterscheiden wie die „Alien“-Filme. „Aliens“ (1986) war ein Kriegsfilm mit der ungewöhnlichen Volte, zwei Mütter ins Zentrum zu stellen: Sigourney Weaver als Erdenmutter gegen die Königin der Aliens, ein im Akkord Eier legendes Geschöpf. „Alien³“ (1992) spielte in einem Gefängniskloster fernab jeder Zivilisation und hatte tatsächlich oft etwas Mönchisches. „Alien Resurrection“ (1997) sollte die Verbindung zur Jetztzeit und zur Erde herstellen, doch die kuriose Action stieß auf ebenso große Ablehnung wie die Schöpfung einer neuer Alien-Spezies. In den vergangenen Jahren drohten die Aliens zur außerirdischen Version von Freddy Krueger zu verkommen, in den Jahrmarkt-Duellen „Aliens Vs. Predator“, die so flüchtig waren wie ein Sommergewitter.

Und doch behielt die Welt der Aliens dauerhaft ihren Reiz. Das merkt man auch daran, wie viele Begriffe zu Gestalten des ersten Teils sich mit den Jahren in unseren Köpfen eingenistet haben. Da gibt es den „Space Jockey“, jenes mächtige Skelett (?), das man in „Alien“ beim Eintritt in die Höhle gesehen hatte, wie es an einer überdimensionalen, penisartigen Kanone saß; den „Chestburster“, dieses phallische Ding mit Zähnen, das ohne Kaiserschnitt aus John Hurts Bauch explodiert war (ja, „Alien“, war auch ein Film über männliche Vergewaltigungs-Alpträume); oder den „Facehugger“, der sich vorher auf Hurts Gesicht gelegt und quasi umarmt hatte. Etliche Kinozuschauer haben seitdem den Eindruck, dieses Alien habe sich vor 33 Jahren auch auf unsere Gesichter gelegt und uns mit Ideen und Urängsten geschwängert.

Ridley Scott hat den Space Jockey ebenfalls nie vergessen. In den vielen Interviews, die er zuletzt gegeben hat, erklärte er, dass er sich stets gefragt habe, warum niemand hinter das Geheimnis dieses seltsamen Geschöpfs kommen wollte. Und so war er daran interessiert, eine Story zu finden, die die Vorgeschichte der „Alien“-Welt erklären und zugleich einige seiner Lieblingsthemen aus Filmen wie „Blade Runner“ behandeln könnte: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was bleibt von uns? Wer hat uns mit welchem Recht geschaffen?

15 Jahre nach dem letzten richtigen „Alien“-Film versucht „Prometheus“ nun, den Mythos nicht bloß wiederzubeleben, sondern zu vertiefen. Das hätte man vielleicht als schieres kommerzielles Kalkül abwerten können, hätte sich nicht Scott selbst der Sache angenommen. Der Engländer war es ja, der uns vor mehr als einem Vierteljahrhundert erstmals in diese rätselhafte Welt verschleppt und uns mit den Kreaturen konfrontiert hatte, die unverzichtbarer Teil der Kino-Sozialisation, unserer Kino-DNS geworden sind. Der inzwischen 74-jährige Brite wollte der Sache endlich auf den Grund gehen. Das war Versprechen und Drohung in einem. Denn wer will schon alle Antworten haben? Schließlich blieben dann keine Fragen mehr offen. Und „Alien“ hinterließ ja auch deshalb einen derart anhaltenden Eindruck, weil der Film mit so simplen Mitteln Wirkung erzielte und keine Frage zu viel beantwortete.

„Prometheus“ hingegen kommt schwerer beladen daher, schon im Titel steckt ein unnötig großes Stück Mythologie. Natürlich ist der Filmtitel zunächst nur der Name des Raumschiffs, das einige Menschen auf einen Planeten transportiert, auf dem die Anfänge der Menschheit und ergründet werden soll. Aber im selben Moment werden wir dazu eingeladen, uns zu fragen, wer im Film die Rolle des sagenumwobenen griechischen Helden einnimmt, der einst Gottvater Zeus erzürnte, weil er den Menschen das Geheimnis des Feuers offenbarte.

Bald werden jede Menge biblische und philosophische und religiöse Häppchen eingestreut, sodass man die Hintergrund-Geschichte überladen finden kann und Hochstapler am Werk wähnt. Aber man kann die Ideen auch aufnehmen und selbst herumspinnen. Es gibt sogar schon Internet-Foren, in denen Theorien über die Hintergründe geäußert werden, die spannender sind als „Prometheus“ selbst. (Nur zwei Beispiele: http://blogs.suntimes.com/scanners/2012/06/prometheus_alien_origins_the_s.html und http://thatguywiththeglasses.com/videolinks/teamt/cr/crspecials/35703-crs-thought-on-prometheus). So etwas kann nicht jeder Film. Ach was: So etwas kann kaum ein Film auslösen. „Prometheus“ gelingt es.

Regie: Ridley Scott (2012)

Autor: Milan Pavlovic (2012)


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Eine Antwort zu „Prometheus [Der Alien-Mythos]”.

  1. Avatar von Wortman

    Ich liebe den Film.

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