Gran Torino

Clint Eastwood:

Gran Torino (2008)

VON MILAN PAVLOVI´C

Es wäre leicht, über Walt Kowalski zu lachen, wenn man nicht auch ein bisschen Angst vor ihm haben müsste. Der von Clint Eastwood gespielte Rentner hat nicht bloß eine finstere Miene, sondern auch tiefe Furchen im Gesicht, als könnte er unliebsame Menschen darin begraben. Die Stirn zweifelnd nach vorne gezogen, die buschigen Augenbrauen, die inzwischen dichter sind als das karge Haar auf dem Kopf, zumeist weit nach unten, sieht dieser Mann aus, als habe ein minderbegabter Schönheitschirurg bei einer OP die Haut zu stark in die falsche Richtung gestrafft. Nun läuft Walt durch die Welt, als scheine ihm die Sonne andauernd dreist in die Augen – oder als müsse er ständig Dinge betrachten, die er gar nicht sehen will. Kowalski hat durch diese Art aufzutreten kleinere Sehschlitze als die meisten Asiaten. Das ist doppelt ironisch, denn er ist umgeben von Menschen aus dem Fernen Osten, denen er mit noch größerer Ablehnung begegnet als dem eigenen, längst erwachsenen und entfremdeten Nachwuchs. 

Das ist die Ausgangslage von „Gran Torino“, und das Schöne daran ist, dass man anders als in den meisten neuen Filmen keine Ahnung hat, wohin die Reise gehen wird. Die Handlung beginnt mit der Totenfeier von Mrs. Kowalski, deren schwerste Aufgabe es wohl gewesen sein muss, ihren Mister halbwegs sozialverträglich zu machen. Jetzt knöttert und grummelt und flucht Walt ungeschützt vor sich hin, ein Fremder in seiner eigenen Verwandtschaft und erst recht in seiner Gemeinschaft. Einen jungen Geistlichen, der ihm auf Bitte der Verstorbenen die Beichte abnehmen will, wünscht er unumwunden zum Teufel, und am liebsten würde er seine Nachbarn, so still sie auch sein mögen, gleich hinterherschicken. Soll dieser rassistische Kauz unser Held sein?

Er ist es. Und das auch deshalb, weil er sich kein Bisschen darum bemüht.

Nur auf den ersten Blick scheint Clint Eastwood in „Gran Torino“ den Walter Matthau des 21. Jahrhunderts zu geben. In Wahrheit ist Walt Kowalski die Summe aller Charaktere, die Eastwood in den vergangenen fünfzig Jahren gespielt hat – vorneweg Harry Callahan und Nick Puvolski, die grimmigen Cops, die in Filmen wie „Dirty Harry“ (1971) und „The Rookie“ (1990) realisieren mussten, dass die Regeln der Gesellschaft bloß dazu da waren, umgangen, unterlaufen oder schlicht gebrochen zu werden. Weshalb sie begannen, die Gesetze ihrerseits selbst zu interpretieren.

Walt allerdings kann nur wenig ausrichten, er ist vor allem ein schlecht gelaunter Rentner. Der ehemalige Fabrikarbeiter aus Detroit muss miterleben, wie seine Einsamkeit durch die asiatischen Nachbarn gestört wird. Sie gehören vorwiegend zum Volk der Hmong, aus dem Dreieck Thailand/Laos/Vietnam. Im Vietnamkrieg haben sie pikanterweise mit den Amerikanern gekämpft, aber das dankt ihnen in ihrer neuen Heimat kaum jemand. Auch Kowalski hat für solche Details keinen Nerv. Er ist als Korea-Krieger immer noch voller Vorurteile (und gepeinigt von schrecklichen Erinnerungen aus den Tagen in Asien), und so schert er zunächst alle über einen Kamm.

Dann jedoch geschehen einschneidende Dinge. Zunächst hilft er dem schüchternen Nachbar-Jungen Thao (Bee Wang) – eher indirekt, weil Walt bloß ein paar Halbstarke mit einem Gewehr von seinem Rasen verjagt. Dann verzichtet er darauf, den gleichen Jungen anzuzeigen, als dieser versucht, Kowalskis wunderbaren Oldtimer (einen minzegrünen 72er Gran Torino) zu stehlen. Dafür bekommt Walt den Dank der gesamten Nachbarn zu spüren, und er erkennt in wenigen Wochen Dinge, die er vorher in vielen Jahren nicht sehen oder wahrhaben wollte. Das ist die Ironie der Geschichte und ihre Botschaft: Man kann immer, bis zuletzt, etwas dazulernen. Aber wie so oft bei Eastwood muss das nicht groß ausgesprochen werden – es wird spürbar.

Mit den Jahren hat dieser Regisseur eine Erzählweise perfektioniert, von der die allermeisten Filmemacher nur träumen können: Er entschlackt die Geschichten und die einzelnen Szenen auf das Notwendige und geht so gelassen vor, dass einem die verkrampften Überambitionen anderer Filmemacher doppelt auffallen. Eastwood entfernt die Kunst und das Künstliche so sehr aus seinen Filmen, dass es schon wieder eine Kunst ist. Das kommt offenbar alles von der Entspanntheit, niemandem mehr etwas beweisen zu müssen. In unserer Methusalem-Ära lässt jedenfalls niemand das Altern so verführerisch weise aussehen wie Eastwood.

„Gran Torino“ ist ganz gradlinig, aber der Film ist alles andere als simpel, weil die Emotionen so komplex sind. Und auch die verschiedensten Genres werden mühelos durchmessen. Was als Grantler-Komödie beginnt und kurz das Drama streift, wird zu einer ungewöhnlichen Kumpel-Komödie mit gesellschaftlichem Pfiff (besonders schön: die Szenen, in denen Walt es genießt, mit Essengaben überschwemmt zu werden). Und wenn der Showdown mit den asiatischen Halbstarken ansteht, spielt Eastwood aus, was er in all seinen Kino- und Lebensjahren über das Töten gelernt hat.

Am Ende haucht Eastwood ein paar Liedzeilen über den Abspann (So tenderly your story is / nothing more than what you see / or what you’ve done or will become / standing strong do you belong / in your skin; just wondering. // Gentle now the tender breeze blows / whispers through my Gran Torino / whistling another tired song. // Engine humms and bitter dreams grow / heart locked in a Gran Torino / it beats a lonely rhythm all night long), und man muss schon sehr still sein, um ihn überhaupt zu verstehen. Es ist eine knöcherne Stimme, sehr fragil, und da durchzuckt es zumindest all jene, die mit diesem Star aufgewachsen und gealtert sind und sich fragen, wie das Kinoleben eines nicht mehr allzu fernen Tages ohne den Schauspieler und Regisseur Eastwood aussehen wird.


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